Ich mag ihn jetzt schon. Er heißt übrigens Richard, eigentlich ein großkanzleitauglicher Vorname.
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Der Größere von beiden, ein schlaksiger Typ, der fast immer eine Weste trägt, hat mich auch diesmal gegrüßt. Danach hat er mich sogar nach meinem Namen gefragt und wir sind ein wenig ins Gespräch gekommen. Jetzt haben wir eine Verabredung zum Lunch. Passt mir sehr gut, die Associates von meinem Stockwerk würden eher ihre goldüberzogenen Manschettenknöpfe einzeln verspeisen als mit mir beim Lunch gesehen werden.
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Zu allem Überfluss soll dann morgen auch noch ein neuer Referendar bei uns auf dem Stockwerk anfangen. Wenn das auch wieder so ein Typ vom eingebildeten niederen Landadel ist, werde ich mir mittelfristig etwas ausdenken müssen, wie ich diese Burschen meiden kann. Zumindest die Arbeit für sie und mit ihnen.
Und wenn ich dann noch an die ebenso wuseligen wie hochnäsigen Sommerpraktikanten denke, wird mir gleich ganz schwarz vor Augen. Ein einziges Desaster, aber mein Sitznachbar schwärmt von den "recruiting benefits". Zum Glück schnappt mir keiner von diesen verhätschelten Mamasöhnchen meinen Sitzplatz weg - einer der Vorteile des "Kellers" ...
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"Ich muss noch für die Berufsschule lernen. Und außerdem meinte meine Kollegin schon am Freitag, dass man besser nichts mit einem aus der Kanzlei anfängt, wenn es nicht grade ein Anwalt ist. Da hätte man das große Los gezogen, klar. Naja, ich finde, sie hat recht. Wir müssen uns ja auch noch an der Weihnachtsfeier an einen Tisch setzen können, da lassen wir das besser mit dem Ausflug morgen."Da lässt sich schwerlich gegen argumentieren, ein Paralegal ist sicher nicht "das große Los". Was an einem Sonntagsausflug allerdings die Weihnachtsfeier versauen soll, bleibt wohl ihr Geheimnis.
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Eigentlich sollte ich das als ungehörige Beleidigung auffassen. Auch wenn ich dem Schnösel vielleicht mal den Spiegel vorhalte und ihm deshalb ein Dorn im Auge bin: Mit ihm verschmelzen werde ich deshalb noch lange nicht. Obwohl der natürlich EGO für Zwei in sich trägt ...
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Bald bin ich vielleicht auch Anwalt und dann kann ich mir auch spontane Wochenend-Kurztrips an die Ostsee leisten.
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Klingt natürlich nach mehr als ein proletarisches "Feierabend". Soll aber den gleichen Inhalt rüberbringen.
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Wie sich mein neues Handeln auswirkt, erfahren Sie in Kürze auf diesem Sender.
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Gerade habe ich mir eine Tüte Chips geholt, weil ich ein wenig Hunger habe (und diese Akte verfluche, bei der ich alle Laschen neu machen muss).
Im Aufzug sind zwei Associates mit mir nach oben gefahren, die beide seit kurzem im Arbeitsrecht tätig sind. Die waren gerade noch schnell einkaufen, machen die Associates angeblich oft, kurz vor acht nochmal nach unten in den Supermarkt. Wann sollen sie auch sonst einkaufen?
Offenbar wissen die beiden nicht, dass ich kein "Kollege" bin, sondern nur Paralegal. Jedenfalls haben sie sehr offen gesprochen im Aufzug. Der Eine fluchte, weil ihn ein M&A-Partner heute anrief und mit den Worten "Sie machen doch auch dieses Mädchenrechtsgebiet, nicht wahr? Lassen Sie mal alles stehen und liegen, wir brauchen Sie."
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Eigentlich müsste ich nämlich noch für zwei andere Associates Sachen erledigen, die ebenfalls "allen anderen Aufgaben vorgehen". Sollen die das untereinander regeln.
Ich dachte allerdings bis jetzt immer, dass der einzige Anwalt hier auf dem Stock, der jeden Tag Hosenträger aufträgt, die höchste Priorität ansagen könnte. Offenbar habe ich mich da geirrt, die Hierarchie ist wohl doch nicht so einfach zu durchschauen. Jedenfalls nicht bei den Anwälten.
Dann setze ich mich mal an die Laschen.
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"Rücksprache sofort. Chaos in Akte, was soll das?"
Alle Laschen waren rausgerissen und auf dem Boden verteilt.
Mal sehen, ob es meine Schuld war.
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Natürlich werden wir auch nicht vorgestellt. Nie würde einer von denen auf die Ideen kommen, eine Sekretärin oder mich mit Handschlag zu begrüßen. Alles arrogante Schnösel, diese Bewerber. Dabei sollten die sich gar nichts einbilden: wenn ein Jurastudium wirklich so schwer wäre, gäbe es doch wohl kaum so viele Juristen!
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Stoppelhaarige Fastglatze, Monogramm auf dem Hemd und Manschettenknöpfe. Ob das für eine Voodoo-Puppe reicht?
(Zum Glück war das nicht zufällig auch der Typ, der mir die Grundbuchauszüge aufs Auge gedrückt hat. So sieht es danach aus, als ob dieser Referendar eher ein Omega-Tierchen ist. Jedenfalls erzählte mir heute die Sekretärin des Partners, für den er arbeitet, dass er den Associates gegenüber kaum den Mund aufbekommt. Hilft mir natürlich nichts. Mir gegenüber bekommt er ihn ja auf.)
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"Tut mir leid, dass das so abgelaufen ist. Beim nächsten Mal gehe ich mit Ihnen, dann sorge ich dafür, dass Sie auch bleiben dürfen."
Eigentlich nett von ihm, oder? Bleibt aber ein etwas komischer Nachgeschmack. Alleine werde ich mich jedenfalls nicht mehr da hin trauen.
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Mittlerweile macht es mir aber nichts mehr aus. Ich habe ein Poster aufgehängt, jetzt fühle ich mich richtig wohl. Mit im Zimmer sitzt übrigens ein Kollege, der irgendwas mit "Marketing" macht. Ein netter Typ, mit dem man auch mal ein offenes Wort über die Kanzlei und die Unkultur hier reden kann. Glaubt man gar nicht, wenn man sich die Hochglanzbroschüren anschaut und davon ausgeht, dass er da angeblich zumindest teilweise mitverantwortlich für den Text ist ...
Bald sollen wir einen zweiten "Paralegal" bekommen, dann sind wir schon mal ein Team und man wird uns nicht mehr so einfach übergehen können. Vielleicht kriegen wir dann auch einen eigenen "Paralegal-Abend". Man wird sehen.
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Vielleicht sollte ich auch Referendar werden. In der Gesetzgebung wird ja gerade viel geändert in Sachen Wirtschaftsjuristen und Rechtsberatung und so. Ich gehe fest davon aus, dass wir bald Referendare oder Anwälte werden können.
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An: $Secretaries FFMKrieg ich also doch noch Mittagessen. Hihi.
Betreff: Warmes Essen in Konfiküche
Liebe Mädels,
die DD-Anwälte haben wieder leckere Nudeln und Salat übriggelassen.
Wer Zeit und Lust hat, wir treffen uns auf ein Schwätzchen oben.
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"Natürlich nicht."
"Dann ist ja gut. Mittag können Sie auch später machen, die Sache eilt."
Jetzt sitze ich hier, während mein Kollege aus dem Materiallager, mit dem ich meistens zum Mittagessen gehe, schon seinen Rukolasalat essen darf.
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Ich habe ihn einfach stehen lassen. In your face, Uni-Fatzke.
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Während wir Paralegals häufig schon mehrere Jahre im Job sind, kommen diese Grünschnäbel frisch von der Uni und bilden sich darauf auch mächtig was ein. Solche Machtphantasien gipfeln dann in Situationen wie gestern:
Der Associate, für den ich am häufigsten und auch sehr gerne arbeite, lud mich beiläufig zum Referendarstammtisch ein, nachdem ich für ihn über die gesamte letzte Woche hinweg Aktenordner für eine bevorstehende Due Diligence kopiert, geordnet und mit Laschen versehen hatte. Laschen mag er sehr und besteht auf einem komplizierten Farbcode, den er mir mal als Handout zum Auswendiglernen mitgegeben hatte, damit ich "auch in hektischen Dealphasen bei den Laschen keine Performance-Einbrüche" zu verzeichnen hätte (das Codesystem ist eigentlich recht einfach und für mich kein Problem). Ich nenne ihn seitdem Laschen-Louie, natürlich nur, wenn ich mit mir selbst spreche, was ich oft tue, wenn ich in meinem Kellerbüro solche Laschenarbeiten verrichte.
Laschen-Louie also erwähnte den "Abend für die Referendare" und ergänzte ein "Da könnten Sie eigentlich auch mal hingehen, bei allem, was Sie für die Kanzlei tun". Meine jüngste Laschenodyssee hatte ihn erkennbar beeindruckt, was mich nicht wenig Stolz machte.
Als ich den Laden betrat, führte mich der Lärmpegel der alkoholisierten Referendargruppe schnell zum richtigen Tisch. Man hatte allerhand Leckerbissen aufgefahren, einige Associates tranken mit und selbst der lokale Hiring-Partner war da. Ihn erkenne ich, weil er damals meinen Anstellungsvertrag unterschrieben hatte und ich ihn gleich darauf auf der Website ausfindig gemacht hatte und mir das Bild ausgedruckt hatte. Überhaupt habe ich alle Partnerbilder ausgedruckt und versuche, sie mir einzuprägen. Solche Tricks sind leider notwendig, weil man im Tagesgeschäft als Paralegal leider in der Regel keinen Partnerkontakt hat (schon wegen der räumlichen Trennung).
Der Rest ist leider schnell erzählt: Als mich der erste Referendar erkannte, stieß er seinen Kollegen an und setzte eine Kettenreaktion der unangenehmen Sorte in Gang. Nachdem jeder mit dem Finger auf mich gezeigt hatte, wurde es ganz plötzlich merklich stiller und die Köpfe drehten sich wie von Geisterhand synchronisiert in Richtung des Hiring-Partners, der sich gerade über einen der 18-Euro-Hawaii-Toasts hermachte, für die diese Bar eine gewisse Berühmtheit erlangt hat.
Nach kurzer Zeit war auch er im Bilde. Man konnte ihm förmlich ansehen, wie er die Situation taxierte, wie er das letzte bisschen Menschenfreundlichkeit gegen die Erwartungen abwog, die die Referendare an ihn stellten. Ich sag ihm an, dass er mein Gesicht kennen musste, jedenfalls zuckte er kurz zusammen, ohne sich nennenswert Mühe zu geben, das vor mir zu verbergen.
Es kann keine schwere Entscheidung gewesen sein, die er da traf, jedenfalls nahm er nicht einmal den 18-Euro-Toast aus den Händen:
"Es tut mir leid, aber das ist eine geschlossene Veranstaltung für die Referendare der Sozietät. Der Support-Staff hat seine eigenen Get-togethers. Haben Sie bitte Verständnis und ersparen Sie in Zukunft sich und uns solche Szenen."
Unter dem kaum unterdrückten Gelächter der Referendare und Associates trat ich wortlos den Rückzug an. Auf dem Weg zur S-Bahn und während der Fahrt (ich wohne etwas außerhalb, die Mieten sind unvernünftig hoch in der City) hatte ich nur einen Gedanken: War das Absicht von Laschen-Louie?
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Zeit, einen lehrreichen Gegenentwurf zu starten. Zeit, die Dinge wieder ein wenig zurecht zu rücken. Zeit, ein paar Großkanzlei-Mythen zu entzaubern.
Kurzum: Zeit, die glitzernde Law-Firm-Welt Mainhattans aus der Sicht eines Paralegals darzustellen. Ungeschminkt und jenseits der Hochglanzbroschüren.
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