Aktueller Genickschlag
Eigentlicher Auslöser für die Geburt dieses Tagebuchs sind die unfassbaren Geschehnisse beim gestrigen "Abend für die Referendare". Diese "Juristen" (sie haben alle nur ein Examen!) werden von der Sozietät hofiert wie hübsche Jungfrauen auf einem Maitanz.

Während wir Paralegals häufig schon mehrere Jahre im Job sind, kommen diese Grünschnäbel frisch von der Uni und bilden sich darauf auch mächtig was ein. Solche Machtphantasien gipfeln dann in Situationen wie gestern:

Der Associate, für den ich am häufigsten und auch sehr gerne arbeite, lud mich beiläufig zum Referendarstammtisch ein, nachdem ich für ihn über die gesamte letzte Woche hinweg Aktenordner für eine bevorstehende Due Diligence kopiert, geordnet und mit Laschen versehen hatte. Laschen mag er sehr und besteht auf einem komplizierten Farbcode, den er mir mal als Handout zum Auswendiglernen mitgegeben hatte, damit ich "auch in hektischen Dealphasen bei den Laschen keine Performance-Einbrüche" zu verzeichnen hätte (das Codesystem ist eigentlich recht einfach und für mich kein Problem). Ich nenne ihn seitdem Laschen-Louie, natürlich nur, wenn ich mit mir selbst spreche, was ich oft tue, wenn ich in meinem Kellerbüro solche Laschenarbeiten verrichte.

Laschen-Louie also erwähnte den "Abend für die Referendare" und ergänzte ein "Da könnten Sie eigentlich auch mal hingehen, bei allem, was Sie für die Kanzlei tun". Meine jüngste Laschenodyssee hatte ihn erkennbar beeindruckt, was mich nicht wenig Stolz machte.

Als ich den Laden betrat, führte mich der Lärmpegel der alkoholisierten Referendargruppe schnell zum richtigen Tisch. Man hatte allerhand Leckerbissen aufgefahren, einige Associates tranken mit und selbst der lokale Hiring-Partner war da. Ihn erkenne ich, weil er damals meinen Anstellungsvertrag unterschrieben hatte und ich ihn gleich darauf auf der Website ausfindig gemacht hatte und mir das Bild ausgedruckt hatte. Überhaupt habe ich alle Partnerbilder ausgedruckt und versuche, sie mir einzuprägen. Solche Tricks sind leider notwendig, weil man im Tagesgeschäft als Paralegal leider in der Regel keinen Partnerkontakt hat (schon wegen der räumlichen Trennung).

Der Rest ist leider schnell erzählt: Als mich der erste Referendar erkannte, stieß er seinen Kollegen an und setzte eine Kettenreaktion der unangenehmen Sorte in Gang. Nachdem jeder mit dem Finger auf mich gezeigt hatte, wurde es ganz plötzlich merklich stiller und die Köpfe drehten sich wie von Geisterhand synchronisiert in Richtung des Hiring-Partners, der sich gerade über einen der 18-Euro-Hawaii-Toasts hermachte, für die diese Bar eine gewisse Berühmtheit erlangt hat.

Nach kurzer Zeit war auch er im Bilde. Man konnte ihm förmlich ansehen, wie er die Situation taxierte, wie er das letzte bisschen Menschenfreundlichkeit gegen die Erwartungen abwog, die die Referendare an ihn stellten. Ich sag ihm an, dass er mein Gesicht kennen musste, jedenfalls zuckte er kurz zusammen, ohne sich nennenswert Mühe zu geben, das vor mir zu verbergen.

Es kann keine schwere Entscheidung gewesen sein, die er da traf, jedenfalls nahm er nicht einmal den 18-Euro-Toast aus den Händen:

"Es tut mir leid, aber das ist eine geschlossene Veranstaltung für die Referendare der Sozietät. Der Support-Staff hat seine eigenen Get-togethers. Haben Sie bitte Verständnis und ersparen Sie in Zukunft sich und uns solche Szenen."

Unter dem kaum unterdrückten Gelächter der Referendare und Associates trat ich wortlos den Rückzug an. Auf dem Weg zur S-Bahn und während der Fahrt (ich wohne etwas außerhalb, die Mieten sind unvernünftig hoch in der City) hatte ich nur einen Gedanken: War das Absicht von Laschen-Louie?

Kommentieren



dampfbadbiber, Donnerstag, 14. Juni 2007, 18:02
Klar Absicht. Wenn nicht, dann unvorstellbare Dummheit. Beides Gründe bei der weiteren Karriere Laschen-Louie nicht über den Weg zu trauen.

paralegal, Donnerstag, 14. Juni 2007, 18:20
Das stimmt wohl. Andererseits ist er einer der wenigen, die eben auch mal nett sind und Zeit für ein "danke" finden, wenn man bis spätabends dableibt, um auszuhelfen. Der Rest sieht in mir allzu oft eine Art Möbelstück :-(

steeefan, Donnerstag, 14. Juni 2007, 18:04
Haben Sie "Laschen-Louie" mal drauf angesprochen bzw ihm von dem Abend erzählt? Wie hat er reagiert?

Das Verhalten der Referendare und des Partners finde ich absolut unmöglich.

paralegal, Donnerstag, 14. Juni 2007, 18:21
Heute habe ich ihn nur einmal kurz in der Teeküche gesehen, da hat er ganz freundlich guten Tag gesagt. Kann man so verschlagen sein?

punnes, Donnerstag, 14. Juni 2007, 18:42
Wirst du ihn darauf ansprechen?

paralegal, Donnerstag, 14. Juni 2007, 19:06
Wenn DU mir einen Tip gibst, wie ich das anstellen soll?

punnes, Donnerstag, 14. Juni 2007, 19:14
Naiv, wie ich bin, schlage ich vor: "Lieber Herr xx., der Referendarsabend lief anders ab, als ich es mir gewünscht hätte. Das war eine geschlossene Veranstaltung für Referendare und Herr yy. hat mich sofort aufgefordert, wieder zu gehen. Das war mir sehr unangenehm. Warum haben Sie mir empfohlen, dorthin zu gehen?"

Aber ich kenne ja das Arbeitsklima bei euch nicht, auch wenn ich langsam eine Ahnung bekomme.

steeefan, Donnerstag, 14. Juni 2007, 20:37
Das da sieht nach einer Mail aus. Ich würde das persönliche Gespräch suchen, da ist erstens persönlicher und man sieht seinem Gegenüber direkt in die Augen und kann ggf daraus auch etwas ablesen.

berniecb, Freitag, 15. Juni 2007, 11:31
@steeefan: Stimmt, sieht nach Mail aus. War aber nicht so gedacht. Der Text sollte keine Formulierungshilfe sein, sondern eher den notwendigen Inhalt eines Gesprächsbeginns wiedergeben. Ich stimme zu: Ein Gespräch ist sinnvoller als eine Mail.

berniecb, Freitag, 15. Juni 2007, 11:31
(Nachtrag: berniecb = punnes)

berniecb, Freitag, 15. Juni 2007, 11:36
(Nachnachtrag: Sehe gerade, die Sache hat sich schon erledigt. Glückwunsch!)